Hey Blogger! Are you real?

7/03/2017

„Du siehst in echt ja ganz anders aus“ ist mir noch nie ins Gesicht gesagt worden. Ich habe noch nie offline hören müssen, dass ich online anders wäre oder anders aussehe. Die Frage ist, wieso das überhaupt eine Rolle spielt?



Da ich immer davon ausgegangen bin, dass wir uns alle natürlich immer gern von der besten Seite zeigen wollen, aber uns nicht künstlich neu erschaffen wollen oder müssen. Bis zum letzten Treffen mit einer Person, die das von außen beobachtet und das schon lange ganz anders sieht.

Einen Besuch ist eine alte Freundschaft immer wert. Ich bin auf dem Weg in meine Heimat, in die Stadt, in der ich groß geworden und bin und jede Ecke noch ganz genau wiederkenne und Geschichten mit ihr verbinde. Das rosa Haus, das früher der Treffpunkt für erste Dates herhalten musste, der dunkle Park mit nur 3 verwitterten Holzbänken und unendlich vielen verbalen Ausfällen gegen ehemalige Klassenkameraden. Das eine Cafè, in dem sich heute noch alle treffen müssen, denn es gab und gibt nur genau das eine. Ich quetsche mich zwischen Plastikstühlen zu ihr durch. Wir begrüßen uns, sie duftet gut und ich muss sofort nach dem Duft fragen. Alles wie immer. Cafè Latte, ein Stück Kuchen das wir uns teilen, da selbst in Kleinstädten die Preise in Sachen Zuckerguss explodieren. Alles wie immer. Auch die Geschichten über ehemalige Bekannte, wer jetzt heiratet, wer jetzt eher alt geworden ist und wen wir immer noch nicht abkönnen. Diese Abneigung gegen andere hielt sich bei mir immer in Grenzen. Ich bin vorsichtig geworden mit Meinungen über Menschen, da wir im Hier und Jetzt alle unser Schutzschild tragen und nach außen oft eine andere Person sein wollen, als wir manchmal wirklich sind. Das war auch einer der Gründe, wieso ich einen Blog angefangen habe. Weil ich in einer Kleinstadt immer ein Schutzschild haben musste, um nicht anzuecken oder überhaupt aufzufallen. Im Netz konnte ich damals mehr ich sein. 

Wir schlürfen unseren Kaffee, sie klaut mir den letzten Zuckerguss und kann es kaum erwarten mir den neuesten Tratsch zu verraten, vermute ich bei ihrer Mimik. Ich blinzle ihr zu und sofort zückt sie ihr Smartphone. Code eingeben, schnell die App öffnen, Namen ein tippen und mit einer Armlänge liegt ihr Profil vor mir. „Hübsch“ rutscht es mir raus. „Nettes Mädel und tolle Haare. Was macht sie und wieso folgst du ihr?“

Kurze Stille, Blick zum Nachbartisch- „Siehst du dieses Mädel dort drüben?“ Nickend schaue ich ungeschickt zum Tisch. Mein Blick wird erwidert, beim Ausspähen bin ich eine Niete. Genau das ist sie. Ich kenne sie nicht, aber das Netz ist voll toller Inspirationen und Accounts wie ihrem. Ich erkenne gleich, sie hat ein Gespür für eine ganz eigene Bildsprache und ich möchte gerade anfangen zu loben, da platzt sie von der Seite in meine Gedanken hinein.

„Weißt du was mich an Blogs stört? Das so viele lügen. Eine App für schmale Beine, schöne Haut und schwups wird das Mädchen von Nebenan, in ihrer Zarajeans, zu einem unwirklich hübschen Wesen mit Porzellan Teint. Glattes Haar, Nase kleiner, mehr Wangenknochen und dann die Bildunterschrift: Liebe dich selbst. Das ist doch alles fake und weißt du was, die die immer am meisten darauf pochen, die die immer #nomakeup und #beyourself auf die Fahne schreiben, haben die größten Komplexe. Deine Welt ist ganz schön schräg, und wenn du sie dann darauf ansprichst wirst du fertig gemacht. Denn genau diese Menschen können die Wahrheit oder eine andere Meinung nicht vertragen. Bei euch stimmt doch etwas nicht. Ihr seid keine guten Vorbilder. Ich würde mich schämen, wenn ich online so viel schummeln würde und offline nicht einmal die Hälfte einhalten kann, was ich im Netz immer so groß verspreche.“

Ok, diese Richtung des Gesprächs hätte ich nicht erwartet, diese Ehrlichkeit und so viel Gefühl auch nicht. Aber wie oft standen schon Damen vor mir und ich dachte, sieht aber ganz anders aus? Ja, davon kann ich mich auch nicht frei sprechen. Aber ich habe es immer auf gutes Licht und fotogene Gesichtszüge geschoben und mich danach nie mehr damit beschäftigt, wieso wer wann wie schummelt. Geht mich ja nichts an, ist ja am Ende nicht mein Business und das Schutzschild, was wir Menschen manchmal brauchen, kenne ich auch nur all zu gut. Doch womöglich hat sie mit einem Punkt Recht: Wer oft genug laut danach schreit, hat vielleicht am meisten mit sich und genau diesem Part im Leben zu kämpfen. Wer sich unwohl fühlt, möchte Bestätigung von anderen, um endlich glücklich zu werden. War das mein Grund im Netz aktiv zu sein? Wäre das nicht unglaublich traurig? Denn wer sich anders sieht, Unterstützung sucht und das nicht offline findet, der kann eben online ganz anders auftreten- aber wird im realen Leben doch trotzdem nicht glücklicher werden? Und beeinflusst uns und andere diese Art des Selbstbelügens auch?

In dem Moment, als sie mir das Profil zeigt und mir vorhält, was Lüge und Realität ist, bin ich nicht wütend auf das Mädchen ab Nachbatsrisch und auch nicht auf meine Freundin. Ich kann es beiden nicht verübeln. Vielleicht ist der Druck so groß einem Bild zu entsprechen, weil wir es im Netz eben auch jeden Tag sehen? Vielleicht optimieren wir uns für andere, um endlich akzeptiert zu werden? Wir oft erwische ich mich noch dabei, dass ich mir wünsche da etwas weniger, dort gern etwas größer und vielleicht auch einfach einmal komplett anders zu sein? Auf der anderen Seite weiß ich um das kleine Schummeln und störe mich ebenso daran.

Wenn ich mich aber  im Netz betrachte, dann bin das ich und ich habe nicht das Gefühl, dass ich mit ihrer Antwort gemeint bin. Oder sehe ich mich auch schon ganz anders?

Ich blicke sie an und lächele. Ich glaube sie erwartet eine Antwort. Ich habe nur keine- kommt auch selten vor. Habt ihr eine? Oder sollten wir uns einfach um wichtigere Themen kümmern?

Liebe Grüße


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